WELTKULTURERBE GRIECHENLAND



Delphi

„Er werde ein großes Reich zerstören, wenn er den Grenzfluss Halys überschreite“. Dieser Weissagung des Orakels von Delphi folgte Lyderkönig Kroisos im 6. Jahrhundert v. Chr. in der Hoffnung, das feindliche Persien zu besiegen. Das Orakel erfüllte sich, doch anders als der Lyderkönig angenommen hatte, denn mit dem großen Reich war sein eigenes gemeint, das den Persern im Kampf unterlegen war.



Derartige Zweideutigkeiten bei den Orakelsprüchen, die von der Priesterschaft des Apolloheiligtums von Delphi zum Teil in Versform verkündet wurden, waren nicht selten. Die letztendliche Deutung und Auslegung der Worte war den Besuchern überlassen, denn „der Herr, dem das Orakel in Delphi gehört, sagt nichts und verbirgt nichts, sondern er gibt Zeichen“, wie es Heraklit einmal ausdrückte. Das Bedürfnis nach derartigen Zeichen, nach Orientierung und Absicherung für das zukünftige Handeln, war auch in der Antike schon groß, und so entwickelte sich das in eine grandiose Landschaft am Hang des Parnassos-Gebirges eingebettete Heiligtum vor allem zwischen dem 8. und 4. Jahrhundert v. Chr. zum zentralen Orakel Griechenlands. Einzelpersonen pilgerten hierher um Rat in privaten Fragen zu suchen, Gesandte von Städten und Stämmen suchten Delphi ebenso auf wie ratsuchende Herrscher wie die Lyder- und Phrygerkönige sowie ägyptische Herrscher. Der Pilger, der einst die heilige Straße des Orakels emporstieg, passierte Gruppen von Skulpturen, Weihegeschenken und Schatzhäusern, die von dankbaren Besuchern gestiftet worden waren und wohl auch deren Ruhm und Macht demonstrieren sollten. Reste dieser Bauten – wie das Relief des Schatzhauses von Sikyon, der ionische Fries des Schatzhauses von Siphnos und das Schatzhaus der Athener - blieben bis heute erhalten und dokumentieren den Einfluss, der von Delphi ausging und sowohl Kolonisierungen und Kriege, Verfassungen und Städtegründungen betraf. So nimmt es denn nicht wunder, dass im Laufe der Jahrhunderte so manche Kriege um die Vorherrschaft über das Heiligtum geführt wurden und die Schätze des Orakels Ziel so mancher Plünderungsversuche waren.

Die eigentliche Weissagung erfolgte im Apollontempel. Bereits in seiner Vorhalle waren an den Wänden orientierende Sprüche der „Sieben Weisen“ zu lesen, wie „Nichts zu sehr“ und „Erkenne Dich selbst“. Die Zeremonie der Weissagung selbst muss ein eindrucksvolles Schauspiel gewesen sein. Mit lauter Stimme mussten die Ratsuchenden ihr Anliegen vortragen. Die Priesterin Pythia verkündete den „Willen des Zeus“, sie saß dabei auf einem Dreifuß über einem Erdspalt, aus dem berauschende Dämpfe aufstiegen, die die Auserwählte in Ekstase versetzten. Dabei berührte sie den sogenannten Nabelstein, einst der von Zeus ermittelte Mittelpunkt der Welt, Schnittstelle zwischen Himmel und Erde. Die „Auslegung“ und „Übersetzung“ der Weissagungen erfolgte dann durch Priester des Heiligtums. Auf diese Weise wurde Delphi zu einem geistigen Zentrum der griechischen Welt, hatten die Schutzherren der Kultstätte mittels ihrer Priesterschaft einen nicht unerheblichen Einfluss auf Kultur und Politik im östlichen Mittelmeerraum.

Dem Mythos zufolge war Delphi bereits seit frühester Zeit ein Ort der Weissagung gewesen, an deren prophetischer Quelle Kulte für die Erdmutter Ga stattfanden. Später soll Apollon das Heiligtum in Besitz genommen haben, indem er die Schlange Python, die Hüterin des Orakels erlegte, ohne jedoch die alten Kulte um Ga und ihren Gatten Poseidon völlig zu verdrängen, und auch der Gott Dionysos behielt seinen Platz im Heiligtum. Während der Wintermonate Dezember bis Januar verließ Apollon das Heiligtum, zu dieser Zeit wurden dann Feste zu Ehren des Gottes Dionysos abgehalten.

Von Anfang an wurden in Delphi Festspiele abgehalten, die sogenannten Pythien, zu denen neben gymnastischen und musikalischen Wettkämpfen später auch Aufführungen von Tragödien gehörten. Städte aus der gesamten damaligen griechischen Welt nahmen daran teil, delphische Gesandte hatten vorher einen „heiligen Waffenstillstand“ im gesamten Land verkündet.

Helmuth Weiss

 

 

 


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